Unendliche Welten
Das Gegenteil von Enge und Begrenztheit
Wer ist "Ich"?
Dieses Foto stammt noch aus der Zeit, in der uns geraten wurde, Stoffmasken zu tragen. Ich habe versucht, diese Anordnung mit möglichst viel Humor zu nehmen und auch noch eine Sonnenbrille aufgesetzt. Komplett Inkognito. Früher, als wir noch gegen AKWs demonstriert haben, herrschte ein Vermummungsverbot. Da war die Partei mit der Farbe der Hoffnung noch mitten unter uns. So ändern sich die Menschen und die Zeiten. Dieses Foto habe ich dann auf der Plattform mit dem Namen "Gesichtsbuch" gepostet. Dieses riesige Internetportal, das so tut, als würde es das soziale Miteinander fördern, aber uns stattdessen mit Werbung zuschmeißt und sich weigert, gefälschte Profile zu löschen. Allein von mir gibt es sieben, die jemand ins Netz gestellt hat, um mich, gelinde gesagt, als unglaubwürdig erscheinen zu lassen.
In den Netzwerken verwende ich meistens die englische Sprache, damit ich auch außerhalb unserer Landesgrenzen verstanden werde. Dies hier ist die Übersetzung des Textes:
"Wenn du introvertiert und sensibel bist und du dich mitten in einer Auseinandersetzung befindest und keinerlei Gefühle zeigen willst, dann ist dies deine Gelegenheit."
Von wem kamen die "Gefällt mir"-Klicks? Von feinfühligen, eher introvertierten Menschen. Diejenigen mit starken narzisstischen Zügen würden wohl kaum ihren virtuellen Daumen nach oben heben.
Jetzt können wir wieder ohne Vermummung anderen Menschen ins Gesicht sehen. Doch macht das einen großen Unterschied? Wie viele Menschen tragen Masken, um sich zu schützen? Nicht vor einem gefährlichen Virus, sondern vor den Attacken anderer Menschen. Wer sensibel ist, kann spüren, wenn es jemandem nicht gut geht, obwohl er oder sie versucht zu lächeln. Viele Menschen machen eine gute Miene zum bösen "Spiel". Sie verbergen ihre Verwundbarkeit hinter einer Maske. Und wie oft werden Überheblichkeit, Häme, Ablehnung und Spott hinter einem aufgesetzten Lächeln versteckt und wir spüren, dass etwas nicht stimmt. Für empfindsame Menschen ist dies sehr verwirrend.
Es wird immer wieder betont, wie wichtig es doch ist, authentisch zu sein. Doch wie ist das möglich, wenn wir uns stets in der Gefahr befinden von anderen Menschen öffentlich an den Pranger gestellt zu werden? "Du musst dir mal ein dickeres Fell zulegen!", ein Spruch den wir nur allzu oft hören. Wer bin ich? Ein Eisbär in der Arktis, der mit seinem dicken Fell in großer Kälte leben kann, ohne zu frieren?
Diesen Rat-Schlag habe ich weiter oben schon erwähnt. Spontan fällt mir noch mehr dazu ein. So ein Winterfell wäre äußerst praktisch, genauso wie ein Winterschlaf. Die kalte Jahreszeit ist nicht meins. Ich gelange immer mehr zu der Erkenntnis, das ich im Grunde genommen "ektotherm" bin. Wie bei den wechselwarmen Tieren ist mein Wohlfühlgefühl abhängig von der Umgebungswärme. Ich leide unter dem kalten Wind genauso wie unter der Eiseskälte erstarrter Herzen. Mit dem Unterschied, dass es mir wesentlich leichter fällt, das Wetter hinzunehmen. Menschen haben einen freien Willen. Sie sind sich dessen nur nicht bewusst und deshalb verhaftet und gefangen in einer destruktiven Gedankenwelt.
Soweit es das Sprießen von Fell betrifft, mache ich gerade die Erfahrung, dass Haare bei fortschreitendem Alter meistens an den Stellen wachsen, wo frau sie nicht haben will. Ein Freund von mir nennt diese Borsten liebevoll "Schnurbarthaare". Die Identifizierung mit einer Katze fällt mir leichter, als die mit einem Borstenschwein, weshalb ich für diese Aussage sehr dankbar bin.
"Du musst im Leben deine Ellenbogen benutzen!"
Ein Satz, den meine Mutter sehr oft gesagt hat. Zufriedenstellend erfolgreich war sie mit der Umsetzung genauso wenig wie ich. Manchmal lässt sich das Zur-Wehr-setzen nicht vermeiden, aber beim Einsatz dieser körpereigenen, spitzen Stoßwaffe - ich habe eine Zeit lang Kampfkunst gelernt - ist es wichtig, sich zu überlegen, ob man den Gegenstoß verträgt, zumal sich am Ellenbogen auch der sogenannte "Musikknochen" befindet.
Eine Freundin hat mich auf den Symbolcharakter der Ellenbogen-Begrüßung hingewiesen, die viele Politiker vor laufender Kamera während der Pandemie präsentiert haben. Früher war die Elle eine sehr oft verwendete Maßeinheit. Es ist in der Regel der Abstand zwischen Ellbogen und Mittelfingerspitze eines ausgewachsenen Mannes. Dass die Elle eine Maßeinheit ist, wusste ich schon als Kind, weil ich u.a. das Märchen "Das tapfere Schneiderlein" so gerne angehört habe.
Eine heutige Schneiderelle hat eine Länge von 50 cm. Beim Menschen sind der Unterarm und der Oberarm meistens ungefähr gleich lang, d.h. bei einer Ellenbogen-Begrüßung muss noch jeweils die Länge der Hand abgezogen werden. Wie war das noch mit dem Mindestabstand von 1,50 m, an den sich alle anderen halten sollten? Meine Hände fangen schon ungeduldig an zu kribbeln, so gerne möchte ich sofort einen Artikel dazu schreiben.
"Du bist viel zu emotional!"
Zum Glück ist mein Herz nicht aus Eis oder Stein, wie die Herzen der bedauernswerten Menschen in den Märchen. Erst durch die Liebe werden sie wieder zum Leben erweckt. Das Weinen wird oft als Schwäche angesehen. Warum? Wer hat damit angefangen, dieses Gerücht zu verbreiten? Das Unterdrücken von Gefühlen der Wut und des Zorns hatte bei mir fast immer so eine Art Vulkaneffekt. Sie brodelten im Untergrund so vor sich hin und durften nicht an die Oberfläche, wie bei einem Vulkan mit einem Pfropfen im Schlot. Der Druck wurde größer und größer, bis sich das Aufgestaute plötzlich und unerwartet mit großem Getöse entlud. Gewitterwolken sind auch ein guter Vergleich. Wie heißt es noch so treffend: "Es liegt Spannung in der Luft."
Nach einer Entladung ging es mir etwas besser, aber von Entspannung konnte keine Rede sein, denn es widerstrebt meinem tiefsten Inneren, meine Mitmenschen so zu behandeln. Inzwischen habe ich selbst erlebt, dass sich Wutenergie umwandeln lässt. Sie steht dann für erfreuliche Aktivitäten zur Verfügung. Es ist so ähnlich, wie die Nutzung einer heißen Quelle vulkanischen Ursprungs.
"Es ist in Ordnung, andere mit dem Mittel der Manipulation Schachmatt zu setzen"
Im Laufe des Lebens eignen sich viele Menschen Verteidigungsstrategien an, mit denen sie sich und andere vor weiteren Verletzungen, Missbrauch, Mobbing und Unterdrückung schützen wollen. - Hm. - Im Grunde genommen ist diese Feststellung richtig. Doch wenn ich darüber nachdenke und damit anfange zu reflektieren, warum ich dies genau hier an dieser Stelle schreibe, dann entsteht in mir ein wages Gefühl, dass noch viel mehr hinter meiner Aussage steckt. Es lohnt sich, darüber nachzudenken, denn dabei kommen die eigenen Schattenseiten zum Vorschein und es ist sehr heilsam, sich diese genauer zu betrachten. Habe ich mit meiner Erklärung den Versuch gestartet, meine "Schachzüge" zu rechtfertigen? - In der Psychologie bezeichnet man dies als einen Fall von kognitiver Dissonanz. Ein Teil von mir erinnert sich gerne an den Moment zurück, in dem ich während einer Auseinandersetzung mit einem versteckten Schmunzeln innerlich "Schach und Matt" gesagt habe. Und wenn ich ganz ehrlich mit mir selbst bin, muss ich zugeben, dass sich dieses Schachmatt noch immer gut anfühlt. - So richtig gut. Der andere Teil in mir verabscheut Manipulation, die bei diesem "Schachspiel" durchaus eine Rolle gespielt hat. Was ist zu tun?
Ich habe erst einmal beschlossen, "Schachbrettern" großräumig aus dem Weg zu gehen, komme dabei jedoch immer wieder an meine Grenzen. Die Frage ist jedes Mal: "Wie viel kann ich einfach so geschehen lassen und wann muss ich etwas dagegen tun?" Wenn ich jedoch das "Schachbrett" betrete, dann hockt ein Zeichentrick-Engelchen bei mir auf der einen Schulter und ein Zeichentrick-Teufelchen auf der anderen.
"Mach sie fertig! Sie haben es nicht anders verdient! Sie schreien regelrecht danach!", sagt das Teufelchen.
"Nein, tu' das nicht. Du weißt genau, das es nicht richtig ist. Manipulation hat nichts mit Liebe zu tun.", erklärt das Engelchen.
"Wenn du das tust, bist du auch nicht viel besser als sie.", punktet das Engelchen erneut.
Die "eigenen Schattenseiten" betrachten - Spannend und heilsam
Solche inneren Dialoge führe ich immer weniger. Die Konflikte in mir fangen damit an, sich aufzulösen, schrittweise, einer nach dem anderen. Das ist ein sehr befreiendes Gefühl. Ich schaue mir ganz bewusst meine "Schattenseiten" an. Es geht darum, sich mit ihnen auszusöhnen und sie zu akzeptieren. Dann ist auch eine Veränderung möglich. Dunkelheit muss nicht beängstigend sein. Sie kann uns auch einhüllen wie schwarzer, weicher Samt. Es gibt Wesen, die im Dunkeln leuchten und sich auf diese Weise gegenseitig finden.
Wenn ich in mir selbst etwas entdecke, das ich nicht gut finde, dann nehme ich es genauer unter die Lupe. Warum verhalte ich mich in bestimmten Situationen so? Warum habe ich diese Empfindungen? Was steckt wirklich dahinter? Welche Erfahrung habe ich in meinem Leben gemacht, die der Auslöser für diese Prägung oder Konditionierung war? Es ist wichtig, ehrlich zu sich selbst zu sein. Oft sind es eingetrichterte Schuldgefühle, die uns dabei im Wege stehen. Manchmal führt bereits das Anschauen und Akzeptieren zur Auflösung.
Bei traumatischen Erlebnissen ist das anders. Viele Menschen leiden die meiste Zeit ihres Lebens unter den Folgen und brauchen Hilfe in Form einer Therapie, um ein Trauma auflösen zu können. Ich habe es ohne diese Unterstützung geschafft, aber mir ist trotzdem bewusst, dass sehr oft eine therapeutische Begleitung erforderlich ist, damit sich traumatisierte Menschen auf den Weg der Heilung begeben können.
Für mich war und ist es wichtig, darüber sprechen zu können, welche Formen von Gewalt ich selbst erlebt habe. Dies gelang mir erst im fortgeschrittenen Alter. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich mich gefühlt habe, als ich erfuhr, was die Hashtags #MeToo bedeuteten, die plötzlich überall im Internet zu sehen waren. Schlagartig wurde mir bewusst, dass ich ebenfalls dazu gehöre. Das Rautezeichen musste ich damals auf der Tastatur noch suchen und dann tippte ich mit Tränen in den Augen: #MeToo