Mein Blog - Deutschland und die Indianer
Der jahrzehntelange Versuch, eine Brücke zu bauen
Warum ich einen Blog gestartet habe
„Die Indianer kommen!!!“ – Ich kann mich noch gut an diesen Ruf erinnern. Damals saß ich mit Herzklopfen vor dem Fernseher und sah mir einen Winnetou-Film an und dieser Schrei ertönte, als die Apachen gerade die Weißen angriffen und ich war voll auf ihrer Seite, eine Verbündete im Kampf gegen die Ungerechtigkeit. Schon als Kind habe ich gewusst, dass früher ganz Amerika Indianerland war, bis dann diese habgierigen weißen Leute kamen und den Indianern immer mehr weggenommen haben. Ich blieb auch dann fest an ihrer Seite, wenn sie in einem John Wayne Film als grausam und blutrünstig dargestellt wurden, denn schließlich war da noch immer diese zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit, gegen die sie sich zur Wehr setzten.
Ich habe sie immer verteidigt, meine Vorbilder, die Indianer, gegen alles und jeden und nichts und niemand konnte mich davon abbringen. Zu Fasching durfte ich dann endlich in aller Öffentlichkeit meine Sympathie zum Ausdruck bringen und das habe ich in vollen Zügen genossen. Mitten im Kohlenpott, im Ruhrgebiet haben wir fast täglich Cowboys, Siedler und Indianer gespielt. Der kleine Aschehof, wie wir ihn immer nannten, verwandelte sich dann in die weite Prärie. Kindheitserinnerungen, die ich nicht missen möchte.
Nachgestellte Szene - Unser Aschehof war schwarz
Inzwischen habe ich viel Zeit gemeinsam mit Native Americans verbracht. „Du kennst echte Indianer?“ werde ich immer wieder gefragt, wenn ich anfange von meinen Erfahrungen zu erzählen. „Echte Indianer“ – Hm. – Mich hat noch nie jemand gefragt, ob ich eine „echte Europäerin“ bin. Welche Attribute sollte eine echte Europäerin denn so haben? Wird diese Frage überhaupt gestellt? Nein, eher nicht.
Oft erhalte ich Anfragen von Kindertagestätten mit der Bitte um eine Kontaktvermittlung zu einem "waschechten Indianer". Er wird für das nächste Sommerfest als Highlight gebraucht, denn schließlich "machen wir gerade ein Indianerprojekt". Er muss jedoch das Gütesiegel "waschecht" tragen, das üblicherweise auf eingefärbten Bekleidungsstücken zu finden ist. "Waschecht" bedeutet, das der Stoff durch den Waschvorgang nicht entfärbt wird. In den Kreisen, in denen ich mich jahrzehntelang mehr oder weniger freiwillig aufgehalten habe, spielt das "Gütesiegel" eine große Rolle. Ich werde es jedoch nie bekommen, denn ich bin schon von Geburt an so "ausgewaschen", dass ich "im Dunkeln leuchte". Dies erinnert mich daran, dass ich mal eine Schimmelstute von einer Koppel geholt habe, weil die ganze Herde sie gejagt und verprügelt hat. Weiß zu sein, ist nicht immer ein Privileg. Doch das ist eine andere Geschichte. Hier geht es um die "waschechten Indianer", die mit dem "Vollblut-Gütesiegel". Doch halt - da fällt mir spontan noch etwas ein: Meine schwarze Stute sah wie ein Vollblut aus. Doch in ihren Papieren stand davon nichts. "Sie hat einen hohen Vollblut-Anteil", wurde mir gesagt - Das Vollblut - ein "Rassemerkmal".
Ich konnte sie neben meinem Tipi grasen lassen, in dem oft Native Americans zu Gast waren.
Wenn ich mit einem Native American aus den USA unterwegs bin, höre ich, wie Passanten flüstern: „Ist der echt?“ Während ich noch mit den Worten ringe, kommt, wie aus der Pistole geschossen, die Antwort von denjenigen, die sich selbst als allwissend wahrnehmen. Sie stehen nahezu in einer persönlichen Beziehung zu "Onkel G", dem "Wissensguru" im Internet. „Nein, das ist wieder so einer aus Peru, einer von diesen Straßenmusikanten. Der hat sich nur so angezogen.“ Sollte ich korrigierend eingreifen und darauf hinweisen, dass nicht nur die "Hellhäutigen" kulturelle Aneignung betreiben? Besser nicht, denn ich habe die Erfahrung gemacht, dass solche Menschen Aufklärungsversuche als persönliche Angriffe werten. Also schweige ich, wie das Volk im Märchen "Des Kaisers neue Kleider".
Solche Situationen entstehen in der Regel nur dann, wenn unsere indigenen Gäste das tragen, was voll ins Stereotyp passt: Wildleder, Perlen, Federn und langes, schwarzes Haar. Ergraut wird auch noch akzeptiert. Das passt dann zur Vorstellung vom weisen Ältesten, der unglaublich viele mystische und magische Geschichten zu erzählen hat. Wer interessiert sich schon für Erinnerungen an die Zeit nach dem 2. Weltkrieg, als Deutschland in Besatzungszonen aufgeteilt war.? Wer möchte wissen, wie es sich damals angefühlt hat, als Native American in Deutschland stationiert zu werden? Im Krieg standen sie sich sogar direkt gegenüber - deutsche Soldaten und Native American G.I.s.
Ich habe vor nicht allzu langer Zeit zufällig während eines Telefonats mitbekommen, wie von einer Trommelgruppe, bestehend aus jugendlichen Native Americans, ein Lied gesungen wurde, bei dem es um "die Deutschen" und den Krieg geht. Sie singen es in einer der Stammessprachen und wollten meine Frage nach einer Übersetzung nicht beantworten. "I think, I don't want to know, right?", erwiderte ich und dann haben wir gelacht - nicht über den Krieg, aber über die Situation. Neugierig bin ich nach wie vor und vielleicht erfahre ich es irgendwann. Unter Native Americans werden Kriegsveteranen verehrt. Es wird unter anderem auch als Fortführung der alten Kriegergesellschaften gesehen. Ich habe bei all dem sehr gemischte Gefühle, saß ich doch während meiner Jugendzeit vor dem Tor eines US-Militärstützpunkts, um gegen die Stationierung von atomaren US-Mittelstreckenraketen zu demonstrieren.
Mystik und "Prärieindianer-Kleidung" verkauft sich viel besser, als alte Kriegsveteranen-Geschichten. Das wissen auch Indigene aus Mittel- und Südamerika, die sich auf deutschen Fußgängerzonen präsentieren. Ein indigener Freund von mir, er stammt aus Nordamerika, ist mal zu einem dieser Verkaufsstände gegangen und hat das Gespräch gesucht. Die Antworten bestätigten meinen Verdacht. Es geht ums Geld. Dies ist eines von den Themen, die ich in meinem Blog noch weiter vertiefen möchte.
Neben der Frage nach der "Echtheit", die stets im Raum steht, werden wir bei kulturellen Veranstaltungen mit dem begrüßt, was hierzulande als "Indianergeheul" bekannt ist. Selbst Erwachsene empfinden es nicht als albern, sich vor einem Gast aus den USA mit der Hand auf den Mund zu schlagen und dabei einen schrägen Ton auszustoßen. Ich habe mir mal einige Gedanken zu dieser Wortschöpfung "Indianergeheul" gemacht: Wölfe und Hunde heulen. Wenn jemand herzzerreißend weint, sagen einige unsensible Menschen: "Hör' endlich auf zu heulen. - Hm - Wie lautet noch mal das altbekannte deutsche Sprichwort? - "Ein echter Indianer kennt keinen Schmerz!" Dieser Unfug wird nach wie vor unseren Kindern erzählt. In Tirol und in Bayern wird gejodelt und merkwürdigerweise wird damit kein wildes Kriegsgeschrei assoziiert. Aber Indianer jodeln nicht. Sie heulen, wie die Wölfe. Das passt ja auch viel besser ins Klischee und erklärt auch, warum auf den massenweise verkauften T-Shirts direkt neben dem Wolf ein Indianer mit Federhaube zu sehen ist, sollte der Wolf nicht schon selbst von Federn, einem Traumfänger oder Perlenmustern umringt sein. Steckt vielleicht der Wunsch dahinter, mit dem Wolf zu tanzen, wie Lieutenant John Dunbar? Der Darsteller von "Smiles A Lot" wurde inzwischen wegen sexuellen Missbrauchs verhaftet. Zerplatzte Träume.
Die Erfahrungen, die ich gemeinsam mit Native Americans gemacht habe, sowohl positive als auch negative, haben mir die Augen geöffnet. Je mehr Zeit wir miteinander verbracht haben, desto mehr erkannte ich, wie sehr wir alle durch unser direktes Umfeld und durch die Gesellschaft, in der wir leben, geprägt wurden. Wenn ich eine Frage weiterleite, erhalte ich von Native Americans oft Antworten, auf die ich selbst nie gekommen wäre. Ich bin jedes Mal erneut überrascht und das nach über 30 Jahren Kontakt und Austausch. Mir ist bewusst, wie stark wir uns im Denken und in der Sichtweise voneinander unterscheiden und genau deshalb können wir so viel voneinander lernen.
Ich bewege mich zwischen diesen verschiedenen „Welten“ und tauche mal in die eine und dann wieder in die andere ein. Ich kann vieles aus unterschiedlichen Blickwinkeln heraus betrachten und weil es mir möglich war, ein Verständnis für die verschiedenen Seiten zu entwickeln, sitze ich oft zwischen den Stühlen. Ich habe immer wieder begeistert meine Erlebnisse mit anderen geteilt und oft wurde mir gesagt: „Du könntest ein Buch darüber schreiben.“ Hm, ja – das könnte ich wohl tun. Vielleicht mache ich das auch irgendwann. Doch jetzt gibt es erst einmal diesen Blog.
Ich finde, es ist allerhöchste Zeit, dass sich die Dinge zum Positiven verändern und dass wir endlich aufhören mit der ganzen Streiterei, den gegenseitigen Anschuldigungen und den schier unendlichen „Diskussionen“, die nicht viel mehr bringen, als verhärtete Fronten. Ich möchte hier nicht nur meine eigenen Erfahrungen teilen, sondern auch weiter erkunden, woher diese Faszination kommt, die viele Deutsche empfinden. Was verbindet uns wirklich mit Native Americans und was ist davon real und was reine Fantasie – ein Wunschdenken – eine Illusion. Was können wir wirklich voneinander lernen und wie können wir uns auf Augenhöhe begegnen, fernab von all den stereotypen Vorstellungen, die auf beiden Seiten vorhanden sind?
Wie steht es also um unsere deutsch-"indianischen" Beziehungen und wie hat sich all dies entwickelt und wohin wird die Reise wohl gehen?
Deutschland und die Indianer – Ein spannendes und komplexes Thema