Carmen Kwasny

Meine persönlichen Webseiten für ein besseres Verständnis



Deutschland und die Indianer

Der jahrzehntelange Versuch, eine Brücke zu bauen

Die Bezeichnung "Indianer" gilt als politisch nicht korrekt 

Warum ich sie dennoch auf diesen Seiten verwende


In letzter Zeit werde ich oft gefragt, ob man überhaupt noch "Indianer" sagen darf. Ich habe meine indianischen Bekannten und Freunde gefragt, wie sie dazu stehen und sehr unterschiedliche Antworten erhalten. Während einer Internetrecherche wurde ebenfalls deutlich, dass längst nicht alle Native Americans den Begriff "American Indians" strikt ablehnen. Dafür gibt es verschiedene Gründe, die ich zu einem späteren Zeitpunkt noch näher erläutern möchte.

Wird das englische Wort "Indian" verwendet, ohne dass es in einem bestimmten Kontext steht, so ist es nicht klar, ob ein Inder oder ein Indianer damit gemeint ist. Um Verwechslungen auszuschließen, wird deshalb in der Regel noch das Wort "American" vorangestellt. Schon allein deshalb ist es problematisch, das Wort "Indian" im Zusammenhang mit Native Americans zu verwenden. In der deutschen Sprache können wir klar unterscheiden, ob ein Inder oder ein Indianer gemeint ist.

In den USA wird schon seit Jahrzehnten darauf hingewiesen, dass es politisch nicht korrekt sei,  Native Americans als "Indians" zu bezeichnen. Genau aus diesem Grund steht auf den Flyern und den Grafiken, die vom U.S. Department of the Interior (U.S. Innenministerium) zur Verfügung gestellt werden "National Native American Heritage Month" (Abk.: NNAHM).

Aktuelle Grafik zur Unterstützung des NNAHM durch Social Media Beiträge u.a.


In vielen Gegenden heißt es dennoch nach wie vor "American Indian Education", um nur ein Beispiel zu nennen. Der "Native American Heritage Month" wurde im Laufe der Zeit mehrmals umbenannt. Von "National American Indian Heritage Month" über "National Native American Indian Heritage Month" hin zu "National American Indian and Alaska Native Heritage Month".


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  • Poster Wiesbaden NNAHM Wiesbaden g web


Wir haben oft gemeinsam darüber gelacht, sowohl die Natives als auch die Non-Natives. Jemand stellte die Frage: "Und wie wird er dieses Jahr genannt?" Andere reagierten mit einem Achselzucken und einem "Whatever" ("Wie auch immer"). Ein Native American sagte grinsend: "Just call me Indian." ("Nennt mich einfach Indianer.")

In Deutschland führt die Suche nach den politisch korrekten Bezeichnungen ebenfalls zu noch mehr Verwirrung. "Amerikanische Ureinwohner" hat in der Regel einen unangenehmen Beigeschmack aufgrund der Assoziationen, die bei vielen dadurch hervorgerufen werden. Sagen wir "Indigene Völker", so weiß niemand auf Anhieb, welche damit gemeint sind, denn Indigene Völker gibt es auf jedem Kontinent. Dann müssen wir es genauer definieren, indem wir "die Indigenen Völker Nordamerikas" sagen. Das wäre politisch korrekt, doch dann wissen wir noch immer nicht, welche indigene Nation in Nordamerika damit konkret gemeint ist. Es ist und bleibt eine Sammelbezeichnung. Das Gleiche gilt für das Wort "Indianer".

Allein in den USA und Alaska gibt es 574 staatlich anerkannte (englisch: federally recognized, federally = föderativ) indianische Nationen, bzw. Stämme und Stammesgruppen (Bands, Villages, Communities). Dies ist der Link zum "Tribal Leaders Directory" des BIA (Bureau of Indian Affairs - Büro für Indianische Angelegenheiten): https://www.bia.gov/service/tribal-leaders-directory, Das BIA ist eine Regierungsbehörde, die zum US-Innenministerium gehört. Vor nicht allzu langer Zeit konnte man auf einer Karte den Suchbegriff "Indian" eingeben und erhielt 182 Treffer. Nur einige davon waren Ortsangaben. Zum größten Teil handelte es sich dabei um die Namen der Native American Tribes und Communities, die nach wie vor das Wort "Indian" verwenden Dies hat unter anderem auch vertragsrechtliche Gründe. - Aber nicht nur, denn viele und vor allem auch die älteren Bürger identifizieren sich mit ihrer Stammesnation oder ihrer Community.

Auf der neuen Seite des National Congress of American Indians (NCAI) befindet sich inzwischen ein Verzeichnis (Tribal Directory) mit verschiedenen Filterfunktionen und Kontaktadressen:
https://www.ncai.org/tribal-directory  

In Kanada werden die Urvölker (englisch: original peoples) als "Indigenous Peoples" oder "Aboriginal Peoples" bezeichnet. In der Kanadischen Verfassung werden drei Gruppen der "Aboriginal Peoples" anerkannt: Die "First Nations" ("die Ersten Nationen", früher wurde das Wort "Indians" verwendet), die Inuit (früher als "Eskimo" bezeichnet) und die Métis. Allein zu den First Nations gehören mehr als 630 indianische Gemeinden. Diese repräsentieren mehr als 50 Nationen und über 50 indigene Sprachen. (Quelle: Internetseite der Kanadischen Regierung)


Wir diskutieren hier in Deutschland extrem kontrovers und in einem noch nie dagewesenem Ausmaß über die politisch korrekte Bezeichnung für eine riesige Anzahl von Nationen, die sich so sehr voneinander unterscheiden, wie die Völker auf dem europäischen Kontinent. Ich finde es gut, dass diese Diskussionen stattfinden, weil sie Schritt für Schritt ein Bewusstsein für die Problematik schaffen, die hinter all dem Gerangel um die politische Korrektheit bestimmter Begriffe steht. Doch inzwischen eskaliert das Ganze immer mehr und auf diese Art und Weise werden wir definitiv nicht zu einer zufriedenstellenden Lösung gelangen.

Das größte Problem besteht nicht darin, dass wir möglichst politisch korrekte Begriffe verwenden sollten und uns nicht einig darüber sind, welche diese Anforderungen erfüllen. Native Americans haben ebenfalls sehr viele, verschiedene Meinungen zu diesem Thema. Die Vielfalt der indigenen Nationen auf dem amerikanischen Kontinent wird seit Jahrhunderten auf mehrere Klischeevorstellungen reduziert und genau das ist ein Problem - ein sehr großes und ernstes Problem.

Die einzelnen Nationen, die schon vor den Europäern auf dem amerikanischem Kontinent gelebt haben, werden nicht als das wahrgenommen, was sie sind. Sie werden unter dem Sammelbegriff "Indianer" zusammengefasst und diese Bezeichnung erzeugt in den Köpfen vieler Europäer ganz bestimmte Klischeevorstellungen. Wenn wir das böse "I-Wort" ächten, löst dies bei einigen vielleicht einen Umdenkungsprozess aus. Das eigentliche Problem wird dadurch jedoch nicht gelöst. Ganz im Gegenteil - die Fronten verhärten sich nur noch mehr.



Hier bei uns in Deutschland sind viele Menschen inzwischen nur noch genervt. Sie bekommen das Gefühl, dass immer mehr verboten wird. Besonders in den "sozialen" Netzwerken werden all diejenigen massiv in die Schranken verwiesen, die es wagen, das böse "I-Wort" in den Mund zu nehmen, bzw. es zu schreiben. An dieser Stelle möchte ich eine kleine Anekdote einfügen:

"Wir hatten soeben das Auto vor einem großen Supermarkt in Kaiserslautern geparkt und waren auf dem Weg zum Eingang. Da sah mein indianischer Begleiter einen Native American auf dem Parkplatz stehen und er sagte: "Look at that Indian over there." ("Schau mal, da ist ein Indianer."). Dazu deutete er mit der Unterlippe in die Richtung. Das ist unter Native Americans eine weit verbreitete Art und Weise auf etwas hinzudeuten, ohne mit dem Finger darauf zu zeigen. Ich kann mich noch daran erinnern, das meine Oma auch immer gesagt hat, dass man nicht mit dem nackten Finger auf angezogene Leute zeigt. Mein Begleiter ging also zu dem Native American und begann ein Gespräch."

Sicher könnte man jetzt sagen: "Wenn Native Americans dies untereinander tun, ist das noch etwas ganz anderes." Ja, das kann man so sehen. Genau aus diesem Grund benutze ich den Begriff "Native Americans", wenn ich mich mit Indianern unterhalte. Und ich tue es auch im Rahmen von Interviews etc., um der Forderung nach politischer Korrektheit in diesen Momenten gerecht zu werden. Ich kenne auch sehr viele Native Americans, die großen Wert darauf legen, dass man sie eben nicht als "Indians" bezeichnet. Sie bevorzugen Begriffe, wie z.B. "Native Americans" (USA) oder "First Nations" (Kanada). Sie sagen: "I'm indigenous" oder "I'm aboriginal". Besonders unter der jüngeren Generation werden diese beiden Begriffe immer mehr verwendet.

Doch auch wenn es einen Unterschied macht, wer das Wort "Indian" benutzt, ändert dies nichts an der Tatsache, dass es unter Native Americans viele verschiedenen Meinungen zu diesem Thema gibt. Hierzulande wird es jedoch so dargestellt, als seien alle Native Americans dagegen, dass wir sie "Indians" oder "Indianer" nennen.

 


Diejenigen, die sich hier in Europa so massiv für die Rechte der Native Americans einsetzen, haben zum allergrößten Teil keine "indianischen Wurzeln" und auch kaum oder gar keine Kontakte zu denjenigen, um die es in dieser ganzen Diskussion geht. Das heißt, es wird über die Köpfe der Native Americans hinweg darüber diskutiert, ob wir in Deutschland noch "Indianer" sagen dürfen oder nicht. Ich habe mich selbst jahrzehntelang dazu berufen gefühlt, die Rechte der Native Americans zu verteidigen. Die Sprache, die ich dabei verwendete, war sehr massiv und eindringlich. Im Laufe der vielen Jahre bin ich jedoch zu der Erkenntnis gelangt, dass Anschuldigungen in der Regel dazu führen, dass sich die Fronten verhärten. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie sich diese Verhaltensweisen bei mir entwickelt haben. 

Je mehr ich über den Völkermord, die Zwangseinweisung in Umerziehungslager (Internatsschulen), Unterdrückung und Rassismus erfuhr, desto größer wurde mein Entsetzen. Ich wollte etwas gegen dieses Unrecht tun. Ich wollte es hinausschreien. Es ließ mir keine Ruhe.

Anstatt heftig über die Köpfe der Native Americans hinweg darüber zu diskutieren, was politisch korrekt ist und was nicht, könnten wir doch versuchen, wieder mehr aufeinander zuzugehen. Ich finde, es ist wichtig zu reflektieren, wie diese vielen Klischeevorstellungen, sowohl die "positiven" als auch die negativen, entstanden sind und wie wir sie auflösen können.